UNIDENTIFIED AFRICAN LANDSCAPE
SEVEN FOR A SECRET
Malerei als Erinnerungsspur: Ein schattiges Hellblau, ein sengendes Rot, ein ätzender Streifen Purpur verbinden sich zu einem Bild. Gunter Wessmann nennt es KARIBA, nach einem Staudamm, der zwischen 1955 und 1958 im Sambesi errichtet wurde. Hinter diesem Wall aus Stahlbeton liegt ein Wasserareal, das damals, vor dem Bau des Assuan – Damms am Oberlauf des Nils, den größten Stausee Afrikas bildete. Doch Wessmann zitiert weder die technische Konstruktion noch die Topographie der Gegend oder die vielfältige Tierwelt, die hier ihr Habitat gefunden hat. Wessmann zeigt Farben, und in den Farben kehrt wieder, was er gesehen hat. Die Farben sind Echos. Echos von Eindrücken, die haften bleiben. So wie der Bildtitel nichts beschreibt, sondern wie eine geheimnisvolle Formel klingt, die von jenem Ort zurückhallt, auf den sie verweist: Kariba.
Lanschaftserlebnisse, das Licht, die Töne des Gesteins, die Färbung der Vegetation stellen das visuelle Vermächtnis dar, auf das sich der Künstler bezieht. Sie liefern die Bilder und die koloristische Stimmungen, die er malend abruft. Die Wucht und Gewalt brodelnder Wassermassen, die sich durch enge Felsen zwängen, können als Reminiszenzen in Wessmanns Malerei ebenso fortwirken oder reflektiert werden wie die verkohlten, toten Stämme, die als spitzige Relikte eines Steppenbrandes aus kahlem Brachland ragen. Simbabwe und Kalifornien sind die Regionen, auf deren Farben Wessmann am häufigsten zurückkommt. Aber es kann auch ein längst vergessener Augenblick gewesen sein, der in der Bretagne oder sonst wo erlebt wurde und der nun während des Malvorgangs die Farbwahl bestimmt.
In diesem Sinn ist Wessmanns Malerei dem Informel verpflichtet. Es sieht den Prozess des Malens als Mittel an, das enge Korsett der Begriffe aufzubrechen und versteht ihn als Weg, in unterbewusste Bereiche vorzudringen. Bei der informellen Kunst entstehen, erwachsen die Bilder aus dem Farbauftrag. Jeder Duktus kann zum Auslöser für Assoziationen werden und den weiteren gestalterischen Fortgang beeinflussen. Hier allerdings unterscheidet sich Wessmann in seiner Vorgehensweise vom Informel, denn das dialogische Wechselspiel zwischen Material und Autor hat für seine Arbeit untergeordnete Bedeutung. Wessmann geht es primär um die Farbe, und aus diesem elementar sinnlichen Interesse an Ocker oder Rot, Braun oder Blau resultiert sein Umgang mit der pigment – und leinölhaltigen Masse. In pastoser Plastizität bringt es sie auf dem Bildträger aus und betont über ihre Körperhaftigkeit die Farbe als Farbe.
Furchig, geschwungen, wulstig steht sie auf dem Malgrund. Sie wird als Farbe haptisch fassbar, und in dieser Eigenschaft setzt Wessmann sie ein. Er malt alla prima – sehr entschieden, energisch, dediziert. Das fällt insbesondere an den großformatigen Arbeiten auf, etwa an KORALLENPALETTE, einem lockeren Gefüge räumlich tief gestaffelter, klar gegeneinander abgegrenzter, in sich nuancierter Pinselzüge, oder an LUX CONCARNEAU, einer freien, von der bretonischen Hafenstadt Concarneau inspirierten Paraphrase, in der sich die französischen Nationalfarben, atlantische Lichtspiegelungen und das Blau des Meeres zu durchdringen scheinen. In die gleiche Reihe gehört DONAUSCHULE, eine Hommage an das intensive, verdichtete Leuchten der Gemälde solcher Maler wie Albrecht Altdorfer oder Wolf Huber. Die konzentrierte Farbigkeit von Bildern wie Hubers Beweinung Christi oder Altdorfers Tafeln Heilige Nacht und Auferstehung Christi, die Wessmann unmittelbar zur DONAUSCHULE angeregt haben, ist das historische Pendant zu den oftmals glühenden Farbwirkungen, die Wessmann in seinen Malereien erreicht. Wobei ein grundlegender Unterschied besteht: War es bei den süddeutschen Renaissancekünstlern üblich, die Bilder schichtenweise aufzubauen, so nimmt Wessmann definitive Farbsetzungen vor. Ein Pinselstrich, der platziert wurde, bleibt, wie er ist. Er wird in sich nicht weiter modifiziert, sondern allenfalls durch weitere Setzungen neu verortet oder gewichtet, da er jetzt vielleicht in den Hintergrund rückt oder weil eine Farbe durch den geänderten piktoralen Kontrast stärker zur Geltung kommt. Unter diesem Gesichtspunkt stehen Wessmanns Arbeiten der Radikalen Malerei nahe, die sich ausschließlich mit Farbe und deren sensueller Wirkung befasst.
Die Malerei ist die Konstante im Werk von Gunter Wessmann. Gemalt hat er immer, aber er hat diesen Teil seiner künstlerischen Praxis nicht durchgängig zu erkennen gegeben. In den neunziger Jahren, nach dem Studium bei Harry Kögler in Karlsruhe und nach einem Stipendium bei Arnulf Rainer in Wien, hat Wessmann vorwiegend konzeptuelle Projekte entwickelt; eine ähnliche Zäsur nahm einst Dieter Krieg vor: Erst nachdem er die 150.000 Künstlernamen, die in den 37 Bänden des Thieme-Becker aufgeführt sind, hatte verlesen und per Tonband hatte aufzeichnen lassen, fand Krieg zurück zur Auseinandersetzung mit Farbe, Pinsel und Leinwand. Wessmann seinerseits reflektierte in Entwürfen und Installationen die soziale und politische Realität einer von aggressivem Wirtschaftsliberalismus und forcierten Globalisierungsbestrebungen gekennzeichneten Gegenwart. Ausdrücklich geht er auf die Lage des afrikanischen Kontinents ein, den seine über viele Generationen mütterlicherseits im heutigen Simbabwe ansässige Familie als ihre eigentliche Heimat begreift. So thematisierte er etwa mit einer mehrteiligen Serie die Aids-Problematik und die im kapitalstarken Westen verschiedentlich anzutreffende zynische Reaktion, die Virusinfektionskrankheit Aids als natürliches Mittel gegen die Bevölkerungsexplosion anzusehen. Wessmann gab die Silhouette Afrikas mit Hilfe von Landkarten deutscher Regionen wieder, die vorwiegend agrarisch-kleinstädtisch geprägt sind. Diese Schablonen dienen einer makabren Statistik: Fiktive Geburtsraten sind Todesraten gegenüber gestellt, die sich mehr und mehr angleichen, bis die Verhältnisse kippen und es mit einem Mal nur noch Tote gibt. Dying By Numbers heißt die Arbeit.
Aus Afrika hat der Künstler auch einen Abzählreim mitgebracht, der mit den Zeilen endet Five for silver / Six for gold / Seven for a secret / Never to be told. Wessmann hat diese Verse auf einem schultafelschwarzen Bild notiert, aber sie hätten genauso gut das muntere Motto zur Zusammenfassung seiner Selbstaufträge zur Vermeidung der Herstellung, einer Folge von Konzepten, die er zwischen 1995 und 1998 auf einer Art Hand-Made-Formulare festhielt. Durch den expliziten Hinweis auf eine Nicht-Realisierung der ausführlich beschriebenen Vorhaben hinterfraft Wessmann mit seinen Entwürfen die Produktionsbedingungen zeitgenössischer Kunst. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und negiert – zumindest versuchsweise – die Möglichkeit, am Ende des 20. Jahrhunderts mit ästhetischen Mitteln Aussagen zu treffen, die ernstlich wahrgenommen, geschweige denn virulent werden. Geplant war die Selbstaufträge zur Vermeidung der Herstellung in eine Edelstahlbox einzuschweißen mit der Verfügung, das Behältnis erst nach Ablauf von hundert Jahren zu öffnen.
Seven for a secret: Der Künstler packt seine Siebensachen und schließt sie weg. Dieses Zurücktreten ist nicht Flucht, es ist die notwendige Distanzierung: Mit einigem Abstand betrachtet, gewinnen die Dinge an Klarheit. Diese Prämisse liegt auch Wessmanns ungegegenständlichen Malereien zugrunde. Ihr Motiv ist die Farbe. Wie in der Radikalen Malerei geht es darum, Farbe zu aktivieren, erfahrbar, präsent zu machen. Aber anders als dort ist die Farbe bei Wessmann an Erinnerungen gekoppelt. Wenn er seine Bilder AFRICAN SUNSET oder EAT SUN nennt, dann sind damit durchaus afrikanische Sonnenuntergänge gemeint, an die er im Verlauf seiner Arbeit gedacht haben mag. Und auch die methodische Nähe zu einem Informel, das über das Malen Fundstücke aus dem Gedächtnis oder aus der Psyche wachruft, ist nur scheinbar, denn Wessmann hält sich nicht an vage Schemen unbestimmter Innerlichkeit. Seine Farben entsprechen tatsächlichen Gegebenheiten. Auch wenn er, wie bei UNIDENTIFIED AFRICAN LANDSCAPE, die Landschaft nicht exakt lokalisieren kann, so gibt es sie doch- genauso, wie hinter den Farben Fakten stehen: Ausbeutung, Korruption, Massaker, Schönheit, Kraft, Stolz. Wessmann malt diese Fakten mit und hält sie zugleich wie in einer stählernen Kiste verborgen, weil wirkliche Malerei kritisches Denken nicht ersetzt, sondern zu sich selbst bringt.
Michael Hübl, 2003
UNIDENTIFIED AFRICAN LANDSCAPE
SEVEN FOR A SECRET
Painting as a trace of memory. A shadowed light blue, a burning red, a corrosive stripe of purple combine to a picture. Wessmann calls it KARIBA after the dam constructed between 1955 and 58 in the Sambezi valley. Behind this wall of concrete and steel lies a reservoir, that before the erection of the Assuan-dam at the upper nile was the largest dam of Africa, But Wessmann quotes neather the technical construction nor the topografic of the area or the prosperous wild- life whith has it`s habitat there. Wessmann shows colors, recalling what he has seen. These colors are echoes. Echoes of lasting impressions. As the title of the picture is not describing, but sounds like a mysterious formular recalling the place mentioned: KARIBA.
Experience of landscape, the light, the tones of rocks, the coloring of the vegetation show the visual inheritage mentioned by the artist. They deliver the pictures and color of the atmosphere, recalled in painting. The power and violence of boiling water masses forcing their way through narrow rocks could carry on as a reminiscence in Wessmanns work like the charcoaled dead tree trunks appearing out of waste land after a bush fire. Mostly Zimbabwe and California are the regions recalled by Wessmanns colors. But it could be a long forgotten moment in the Britany or elsewhere, choosing the colors in paintings progress. In this respect Wessmanns painting is obliged to the informel. He considers the process of painting as a way to break the tight frame of notion and understands it as a possibility to reach areas of subconscience. In informal art pictures originate and rise out of color settings. Every brushstroke can become a release for associations and influence the following creative sequence. This indeed distinguishes Wessmanns procedures from informel, for the dialogue play between material and author is of minor importance for his work. Wessmanns primary interest is in color, and from this elemental and sensual interest in ocre or red, brown or blue the company with the pigmentious and oily mass results. In almost three-dimensional brushstrokes he delivers it on the canvas and emphazises over it`s physicality the color as color.
Furrowy, wingy, thick it stands on the painting ground. It is as color seizable, and in this capacity Wessmann inserts it. He paints alla prima- very decisive, energic. Mostly striking in the large sized pieces like KORALLENPALETTE, a loose arrangement of deep spatial, clearly bordered, detailed brushstrokes in themselves, or in LUX CONCAR-NEAU, a free from the britany harbour town Concarneau inspired paraphrasis, in which the french national colors, mirroring atlantic lights and the blue of the sea seem to penetrate each other. To this same kind DONAU-SCHULE belongs, a hommage to the intense sealed shining of the paintings of artists like Albrecht Altdorfer or Wolf Huber. The concentrated coloring of pictures like Hubers „Beweinung Christi“(1) or Altdorfers plates „Heilige Nacht“ (2) and „Auferstehung Christi“ (3) stimulating Wessmann directly to DONAUSCHULE, is the historic pendant to the often glowing color-effects Wessmann reaches in his paintings. But there is a fundamental difference: While the south german renaissance artists usually constructed their pictures in layers, Wessmann uses defined color settings. A once placed brushstroke stayes like it is. It won`t be modified in itself but possibly new located or weighted through following settings. It can move now into the background because through the altered pictoral context a gains more importance. Under this point of view Wessmanns pieces are close to radical painting, occupated exclusive with color and it`s sensual effects.
Painting is the constance in the work of Wessmann. He has always painted, but he has not always shown this part of his artistic practice. In the Nineties, after studying with Harry Kögler in Karlsruhe and after a fellowship at Arnulf Rainer in Vienna Wessmann mostly developed conceptual projects. A similar cut Dieter Krieg once did: Only after having lectured and taped the about 150,000 names of artists registered in the 37 volumes of the Thieme-Becker (4) Krieg found his way back to the argument with color, brush and canvas. On his side Wessmann reflected in plans and installation work the social and political reality of a through aggressive economic liberalism and progressive globalisation characterised presence. He certainly occupies himself with the situation of the african continent, which his family on his mother`s side, located for many generations in the country now known as Zimbabwe, regards as their real home. So he thematises for example with a series in several pieces the aids problem and the in the west often cynical reaction to see the virus infection aids as a natural method against the population explosion. Wessmann showed the shape of Africa supported by maps of of mostly rural german regions. These designs serve a sad statistic: Fictive numbers of births are opposed to numbers of deaths, equalising eachother until the situation tips over to the result, that there are suddenly only deaths. The name of the piece is Dying By Numbers.
From Africa the artist also brought a nursery rhyme ending with Five for silver/ Six for gold/ Seven for a secret/ Never to be told. Wessmann noted these verses on a school-blackboard like picture, but they could as well be the merry assumption of his Selfinstructions to avoid production, a compilation of concepts he confirmed between 1995 and 1998 in a kind of hand-made form. Through this explicit hint at the non- realisation of the detailed described intensions Wessmann questions with his designs the conditions of contemporary art production. He even does a further step and negotiates- at least by attempt- the possibilaty to make a statement of asthetic value taken seriously, not to talk about becoming important in the end of the twentieth century. It was planned to weld the Selfinstructions to avoid production into a steelbox with the instruction to open it only after a hundred years.
Seven for a secret: The artist packs his belongings and closes them away. This stepping back is not escape, it is the necessary distance: Considered with some distance things grow clearer. This intension lies underneath Wessmanns unfigurative paintings. The motive is color. As in radical painting it deals with activating color, color-experience and presence. But unlike to there in Wessmanns pieces the color is combined to memories. When he names his pictures AFRICAN SUNSET or EAT SUN real african sunsets are meant, which he might thought of during the progress of his work. Even the methodical vicinity to an informel, that, psychic or out of memory, recalls found objects through painting is apparent, because Wessmann does not stick to indefinite shapes of an uncertain inwardlyness. His colors correspond to real situations. Even if he, like in UNIDENTIFIED AFRICAN LANDSCAPE cannot exactly localize the landscape it still exists- equally like the facts are standing behind the color: Exploitation, corruption, massacre, beauty, power, pride. Wessmann paints these facts as well and keeps them hidden as in a steelbox, because real painting cannot replace critical thinking, but can bring it to itself.
Michael Hübl, 2003
Lyrik aus Licht, Malerei als „poème en prose“
Über Farbe, Licht-Essenzen und Traumbeschleunigung in den Bildern von Gunter Wessmann
Von Kirsten Voigt
Das magischste Wort, das Gunter Wessmann an diesem Sommerabend hinter dem Karlsruher Hauptbahnhof sagt, ist zugleich das aufschlussreichste: „Traumbeschleuniger“. Phantastisch klingt das, nach Freiheit, Feuer und Trance.
Er findet es auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, die nach vielen Stunden und noch mehr triftigen Überlegungen zur Kunst am Ende dieses Atelierbesuchs mit einem Lächeln in den Raum gestellt wird: Was bedeutet ihm die Farbe denn nun zuallererst und zuletzt? Wessmann lächelt die Frage überrascht an, lauscht in sie und in sich hinein und blickt auf das vor kurzem vollendete Bild („Cosmos“), ein Diptychon, dessen Blau frisch, hart, gerade und himmeloffen von der Aluminiumplatte leuchtet. Metallene Bildträger sind allen anderen überlegen, sagt er. Und die Farbe ist der verlässlichste, der aufregendste „Traumbeschleuniger“.
Sie setzt frei und in Gang, katapultiert den Maler angenehm paradox ins „absolute Jetzt“, dem man in Bildern wie in einem seiner geliebten Haikus begegnen kann, und gleichzeitig zurück in Erinnerungen, in Atmosphären, die man erlebt hat. Die Farbe ruft Wahrnehmungen auf, die aus der Ferne heraneilen, mental präsent werden und wieder nach außen drängen, wehend sichtbar werden wollen, als tanzende Stimmungen, als flirrende Suggestionen von Licht im Bild.
Fast jedes Gemälde von Gunter Wessmann ist Lyrik aus Licht, früher hätte man das Ode genannt, Hymne oder Sonnengesang. Heute sind die Rhythmen frei, die Vokabeln Fragmente. Wessmanns Bilder halten es mit dem „poème en prose“, und gleichwohl stellt sich hier und da ein Reim ein, hallen Formen ineinander wider. Und nicht nur das Licht der alten, sengenden Sonne, auch jenes einer kühlen Sternen-, einer milchig-weichen Mondnacht vielleicht am Rand der Wälder, über den Wassern fängt diese Malerei in simultanen und gegeneinander brandenden Schwingungen ein. Den Nachtwind („Nightwind“), der breit angreifen und stark sein muss, um uns in unserer Stille zu erreichen, den Sturm, der peitscht, Wolkenschleier aufreißt, an den Bäumen unruhig zerrt, Beleuchtung dramatisch verändert, Richtung wechselt, die Segel bauscht („How to Sail“) und Fahrt gibt. Alles nur für einen Augenblick und doch tauglich zur wiederholten Wiederkehr, für Beschwörungen und dauerhafte bildnerische Vergegenwärtigung.
Das ist kein automatistisches Informel, keine lyrische Abstraktion, nicht lediglich eine Arbeit aus dem fetten, sämigen, preziösen Material aus der Tube – der Farbe aus Öl und Pigment, der Malbutter, die dieser besonders pastosen Masse Halt gibt und ihr Trocknungsverhalten begünstigt –, sondern eine welt-, erlebnis- und empfindungshaltige Kunst, ein retrospektiv abstrahierender Impressionismus, der auf Gesehenes, Gelebtes, Gefühltes zurückgeht, tatsächlich vor allem auf Landschaft, und nicht nur sensualistisch, sondern spirituell veranlagt ist.
Wessmanns feines Gespür für die Suggestivität, die Lichthaltigkeit der verschiedensten Mischungen, Überlagerungen, Verdichtungen von Farben, für die Luzidität zielsicher gesetzter, transparenter Gesten auf seinen metallischen Bildträgern erlaubt es ihm, die Reminiszenz eines Lampenlichtes („Shady lamp“) so nobel goldumglänzt zu malen, dass in ihm all die schützende Wärme liegt, die wir suchen, einst erfuhren, nach der wir uns fortgesetzt sehnen werden in dunkleren Nächten. Es erlaubt ihm, das Licht als geographisches Phänomen („Topographic Grey“) mit seinen tellurischen Bedingtheiten zu erfassen. Griechisches strahlt in weiß abgemischten, mit größter Selbstverständlichkeit gesetzten sonnigen Akkorden aus Rot, Gelb und Blau. Afrikanisches Rot, Gelb und Blau („African Red, Yellow and Blue“) ist erdig, trocken ins Ocker gebrochen und glühend heiß.
Gunter Wessmanns Mutter und deren Familie stammen aus Simbabwe. In London geboren, verbrachte er die meiste Zeit seiner Kindheit an vielen verschiedenen Orten Afrikas, siedelte später nach Hamburg über. Ohne dass dies ein explizites Thema seiner Malerei wäre, ohne dass er damit in seiner Kunst hausieren ginge, scheint sie doch von dieser frühen Weltläufigkeit nachhaltig geprägt, von der Fähigkeit, Dimensionen, Größe, Distanzen, Fernen zu ermessen. Wessmanns Bilder atmen immer Weite, Offenheit.
Die Konzentration auf die Evokationskraft der Farbe ermöglicht es Gunter Wessmann aber nicht nur, die Licht-Essenz verschiedener topographischer Umgebungen in Malerei zu überführen, sondern auch ein Bild wie „Like the light of day“ zu einer koloristischen Metapher des Heranbrechens, des klärenden Leuchtens, der existenziellen Erhellung zu machen, einem Bild, in dem sich über das Changieren von Orange, neben die markanten Setzungen von Magenta ein weiß gebrochenes helles Blau schiebt – wie ein Fanal, wie ein Versprechen. Etwas erwacht, klart auf und strahlt. Alle Kämpfe, die in dieser Malerei ausgefochten werden – meist in Gedanken, vorwegnehmend, nicht zweifelnd und auf Probe auf dem Bildträger –, sind poetisch, zärtlich, tändelnd wie von Schmetterlingen ausgetragen („Butterfly battlefield“) und letztlich in einer hochästhetischen, offenen Klärung beigelegt. Der vitale Elan, aus dem diese Bilder hervorgehen, zielt auf Reinheit und Reduktion ab.
Die Wucht des breiten Pinselstrichs wird zu einer sicheren Spur, einem verlässlichen Statement, einer Positionsbestimmung, Halt gebend, entschieden, stark. Sie ist nie bedingungslos, nie unabhängig von dem, was ihr vorausging, sondern nimmt in sich auf, worüber sie hinzieht, verschwistert sich mit dem Zugrundeliegenden, tieferen Schichten und wird dadurch mehr als sie selbst, angereichert, durchlichtet, verschattet, mitunter plötzlich zu einer optisch dreidimensional wirkenden Erscheinung. Die Illusion, dass Farbe hier gelegentlich zum kantigen Klotz, zum Gebälk mutiert, der Eindruck, als hätten rotierende Kreisscheiben segmenthafte Spuren auf der Fläche hinterlassen, schmiegt sich an die Wahrnehmung des Offenkundigen, des Pinselduktus, der sich ohne Verweis zu sich selbst bekennt, der von nichts anderem herrührt als von der Entscheidung für Töne, der prallen Sättigung des Pinsels mit dem Malmittel, dem besonnen gewählten Ansatzpunkt und der zügigen Bewegung von Arm und Hand, die Fahnen von Farbe ins Bild führt.
Das hat so viel Kraft wie entschiedene Verwegenheit. Das erste Bild, das ich vor Jahren von Gunter Wessmann gleichsam unvorbereitet sah – im Büro eines Kollegen hing es, gerade angekauft für die Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe –, prangte so offensiv optimistisch und provozierend generös an der Wand, dass es einem spontane Bekundungen des Frappiertseins entlockte, Entzücken auslöste über so viel farb-energetische und kompositorische Grandezza.
Aber alles Gesetzte bleibt trotz aller Verve disponibel, musikalische Beweglichkeit Prinzip, sodass die scharfe Wendung, der Umschwung, der schnelle Turn, der Quickstep des tanzenden, pendelnden Pinsels den Maler und uns entlastet, Erstarrung und Verkrampfung löst, sich die Möglichkeit zur biegsamen Umkehr, zum Bruch, zur Pause eröffnet und neue Pointierungen immer denkbar sind: Bilder von synkopischer Gegenläufigkeit („Free Jazz“) entstehen, von Taumel, Umdenken und Balance in der Fülle, von lässigem Überschwang, von kontrollierter Behauptung und Einspruch, Improvisationen, die sich nicht schematisieren lassen. Und manchmal wird eine Option verstärkt, mit Nachdruck gesättigt, Lage auf Lage bestätigt dann, dass ein horizontales Rot hier unabdingbar, ein pfahlstarkes vertikales Blau ein Muss, unumgänglich ist.
Diese malerischen Feuerwerke feiern die „lyrische Unordnung“ („Lyrical disorder“) oder „lose Ordnung der Dinge“ („The loose order of things“) und lehren Segeln, Schwimmen und Schweben, indem sie kompositorisch darlegen, wie aus Disparatem, aus Hell und Dunkel und einem satten Meerblau Harmonien, ein perfekter Tag mit oder für Elise („A perfect Day Elise“) oder eine Herbststimmung werden.
„My masters garden in the autumn light“, schreibt Gunter Wessmann in einer Mail auf die Frage nach seinem Meister, einer etwaigen näheren Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus oder fernöstlichen Meditationstechniken, sei ein gutes Beispiel dafür, dass seine Malerei tatsächlich vor allem auf Naturerfahrung – nicht auf Selbsterfahrung – rekurriere: „Viele meiner Arbeiten haben mit dem Meer zu tun, das Meer ist mein eigentlicher ‚Meister‘, wenn es um Spiritualität ginge. Kein Philosoph kann mich so prägen – bei allem Respekt – wie meine Kindheitserlebnisse am Meer. (…) Sein Garten ist das Spiel von Wellen und Wolken am Himmel.“ 1 Wessmann ist ein hoch intelligenter, ein reflektierter Malerpoet – mit „Meerblick“, und das heißt, mit dem Wissen um Urgewalt, Ursprungsnähe, Herkunft, Fernen, Wiederkehr, das, was trägt, Sehnsucht und Geborgenheit in einem schäumend und unergründlich verkörpert.
Wie vollends wunderbar Wessmanns Malerei ist, erweist sich nicht nur, wenn er ein Bild in den Farben von „Feuerlilien“ glühen lässt, aus dem Mit- und Gegeneinander der drei luminiszierenden Grundfarben entwickelt („Bay Area“), sondern auch wenn er den Betrachter in sanftem Braun, freundlichem Rosa, Blau, Rot und einer flinken Spur Weiß auf die Fährte von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ setzt („Follow the white rabbit“) und mit Witz anempfiehlt, dem weißen Kaninchen zu folgen. „(…) aber, als das Kaninchen wahrhaftig eine Uhr aus der Westentasche zog, und darauf sah, und dann weitereilte, sprang Alice auf, denn es durchzuckte sie der Gedanke, dass sie niemals zuvor ein Kaninchen mit einer Westentasche gesehen hatte, noch mit einer Uhr, die es daraus hätte hervorziehen können, und, brennend vor Neugier, rannte sie ihm quer übers Feld nach, und kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie es mit einem Satz in einem großen Kaninchenbau unter der Hecke verschwand. Im nächsten Augenblick sprang Alice hinterdrein, ohne auch nur einmal zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder hinaus kommen sollte. Der Gang in dem Kaninchenbau verlief ein Stück weit waagerecht wie ein Stollen und fiel dann plötzlich steil ab, so plötzlich, daß Alice keinen Augenblick daran denken konnte anzuhalten, bevor sie einen anscheinend sehr tiefen Schacht hinabfiel. Entweder war der Schacht sehr tief, oder sie fiel sehr langsam, denn sie hatte im Fallen reichlich Zeit, sich umzusehen und sich zu fragen, was wohl als nächstes passieren würde.“ 2 „Traumbeschleunigung“ – Wessmanns schamanistische Malerei fordert explizit dazu auf, sich ihrem Zauber zu überlassen.
Man darf bei so viel Poesie nicht ganz aus dem Blick verlieren, dass Wessmanns Werdegang als Künstler zwar seine Wurzeln in der Malerei hat, er die ausschließliche und restlose Hingabe an gerade dieses bildnerische Ausdrucksmittel aber immer wieder ein wenig aufschob, sich versagte, wie mit diskretem Vorbehalt verweigerte und eher konzeptuelle künstlerische Verfahren einsetzte, um durchaus intellektuelle Inhalte zu bearbeiten, in Installationen komplexe soziale Problemstellungen – etwa den westlichen Zynismus im Bezug auf die epidemische Verbreitung von Aids in Afrika – zu befragen.
Obschon Wessmann bei dem Bauhaus-Schüler Karl Rödel an der Kunstschule in Mannheim und bei Harry Kögler an der Karlsruher Kunstakademie studierte, obschon er den früh vollendeten, auch aus dem Vollen der Materie schöpfenden Farb-Magier Nicolas de Stael mit Werktiteln zitiert und seinen Hang zur großflächigen Gebärde rekapituliert, wäre ein Vergleich mit dem weitaus melancholischer und chtonischer getönten Werk des einstigen Karlsruher Akademie-Professors Per Kirkeby nicht uninteressant.
Auch in Kirkebys – allerdings eher strukturbetonter und geologisch orientierter Malerei – kommt dem Licht eine reminiszierende, tragende Rolle zu. Im Jahr 1978 hat Kirkeby über das Licht historische Reflexionen angestellt. In seiner Metaphorik ist das Licht in der Malerei eines, das in der Höhle des Einsiedlers aufscheint, in sie ein-, aus ihr herausdringt: „Im Laufe der Zeit dringt das Licht der Öffnung in den Höhlen der Einsiedler hervor. Gluten in der Tiefe des Waldes, in Claudes untergehender Sonne. Es scheint hervor in Turners Jugend, dringt immer mehr in seine Höhle ein, um sich dann alleinherrschend über die ganze Fläche auszubreiten. Ein Schreck und Jubel. (…) Eine andere große Fläche, ein großes Licht, findet sich bei Mondrian. Bei Mondrian gibt es diese scheinbare Beherrschung dieses stürmenden, sickernden Lichtes. Besonders in den ersten Bildern der dreißiger Jahre. Da wird es festgehalten, und man sieht, mit welch moralischem Ernst. Später, vor allem natürlich in den allerletzten New-York-Bildern, bricht es zusammen. Das Licht erobert auch das Gitterwerk mit einer charmanten und gegenwärtigen Grimasse. (…) Zwischen den Strichen ist Licht wie bei Hammershøi. Das Licht ist dabei, zu gewinnen, sich über die ganze Fläche auszubreiten, aber durch eine moralische Kraftanstrengung gelingt es Mondrian, das schwarze Gitter zu etablieren.“ 3
Nicht erst die Aufklärung hat Licht und Moral metaphorisch eng miteinander verklammert. Bei Wessmann ist es nicht das Licht in der Höhle, das seine Bilder von Innen leuchten lässt, und alles Einengende – Gitter ganz gewiss – ist ihm fremd. Sein Licht, das so viele Empfindungen aufscheinen lässt, gleißt über grenzenlosen Ebenen, über den Wellen des Meeres („Bay Area“), in weiten Räumen, in denen wir friedlich existieren könnten, in denen sich immer noch träumen, hoffen lässt auf Achtsamkeit, Verständnis und Glück. Dass auch diese Kunst einem ethischen Impetus folgt, ist unzweifelhaft.
Schönheit sei rar, behauptet Gunter Wessmann mit dem Titel eines seiner jüngsten Werke, das in einem vom Gestus der vorhergehenden Bilder aufregend abweichenden, vielleicht richtungweisend neuen Bewegungsspiel angelegt ist, weniger getaktet, weniger kleinteilig, weniger all over-betont, geradezu episch in der Entwicklung zumindest einer zentral beherrschenden Farbbahn – „Beauty is a rare thing“. Im Blick auf Wessmanns Œuvre ist das pure Ironie, denn nicht nur das titeltragende Werk betört. Schönheit wird so wenig geschenkt wie Freiheit, sie ist kein Zufall, sondern Extrakt einer Anstrengung, von Erfahrung, Ausgeglichenheit, Haltung. Und in diesen Bildern ist Schönheit ekstatisch, so überraschungssatt wie ein neuer Tag. Eine Zeile aus Nietzsches Gedicht „Ecce homo“ fällt einem vor ihnen ein – „Licht wird alles, was ich fasse“ 4 – und Goethes angeblich letzte Worte, die verwandelt werden wollen: Mehr Licht geht nicht.
1Mitteilung des Künstlers an die Autorin im Oktober 2011.
2 Lewis Carroll: Alles über Alice, Alices Abenteuer im Wunderland, Durch den Spiegel und was Alice dort fand, Hamburg, Wien 2002, S. 12f.